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Die barrierefreie Stadt – Ansätze und Wege zur Realisierung

Ein Gastbeitrag von Boris Schade-Bünsow | Chefredakteur der bauwelt

So selbstverständlich es im 21. Jahrhundert klingen mag, eine barrierefreie Stadt für alle gibt es nicht. Weder im Bewusstsein der Bewohner noch der Planer und Architekten spielt Barrierefreiheit bisher eine angemessene Rolle. Das muss so nicht sein und zumindest in dieser Sicht sind die USA eines der fortschrittlichsten Länder der Welt. Wege zur barrierefreien Stadt zeigt Boris Schade-Bünsow in seinem Gastbeitrag.

Foto von Boris Schade-Bünsow

Boris Schade-Bünsow | Chefredakteur der bauwelt

Ansätze für eine barrierefreie Stadt in den USA

Vor 30 Jahren ist das amerikanische Behindertengleichstellungsgesetz, der „Americans with Disabilities Act“ (ADA), in Kraft getreten, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums forderte der damalige US-Außenminister John Kerry 2015 die internationale Gemeinschaft dazu auf, „alles in unserer Macht Mögliche zu tun, um Gesetze zur Inklusion durchzusetzen und niemanden zurückzulassen – überall“. 

Dem vorangegangen war ab 1970 der feste Wille, den verletzten und teilweise behinderten Veteranen des Vietnamkriegs die Rückkehr und die Integration in das zivile Leben mit den geringstmöglichen Einschränkungen zu ermöglichen.  

So ist ein nachhaltiges Bewusstsein für Barrierefreiheit in allen öffentlichen Bereichen entstanden. Wie selbstverständlich werden beispielsweise barrierefreie Gebäudezugänge in die Architektur integriert. In Amerika muss niemand durch den Hintereingang oder über eine versteckte Rampe in eine Bibliothek, ein Restaurant oder in ein Museum eintreten und jede Stadtverwaltung und jede Behörde sind ebenso leicht zugänglich.  

In den USA ist damals ein Perspektivenwechsel gelungen, es ging nicht um die Anpassung an die „normale“ Gesellschaft, sondern darum, die gesamte Gesellschaft mit Menschen mit unterschiedlichen physischen Fähigkeiten als „normal“ zu betrachten. 

Was ist also heute und hier für eine barrierefreie Stadt zu tun?

Zuallererst geht es um das Bewusstsein, für alle Menschen gleichermaßen zu planen, ganz unabhängig davon, ob sie Einschränkungen haben. Für den öffentlichen Nahverkehr bedeutet dies einen gleichwertigen und gleichberechtigten, schwellenlosen, neigungsarmen Zugang zu Verkehrsorten und Verkehrsmitteln.  

Dies ist praktisch keinem gelungen, sei es Bahn, Bus, Auto oder Flugzeug. Selbst der Bürgersteig oder die Wegeführung für Fußgänger in der Stadt sind nicht angemessen umgesetzt. Oftmals erschwert schon der falsch ausgewählte Bodenbelag die störungsfreie Fortbewegung. Ganz besonders schwierig wird es bei historischen Belägen wie Kopfsteinpflaster oder groben Gehwegplatten. 

Wie lassen sich öffentliche Gebäude barrierefrei gestalten? 

Für ein öffentliches Gebäude, beispielsweise ein Museum, ein Büro oder ein Kaufhaus, bedeutet dies vieles, wobei uns manches vielleicht selbstverständlich erscheint, obgleich es nur teilweise oder gar nicht umgesetzt wurde. Es geht um angemessene Beleuchtung, vorhandene Ruhezonen in unmittelbarer Nähe der Verkehrsflächen, ausreichend breite, ebenerdige, stufenlose Zugänge, klare, eindeutige Wegeführung und lückenlose Beschilderung mit Leitsystemen und Bedienelementen für Menschen mit SehbehinderungenTürdrücker und Türen, die sich leicht genug öffnen lassen, Aufzüge mit angemessenen Fahrkörben und eindeutigen Informations- und Bedientableaus und um gerade Treppen.  

Es geht um Tresen, beispielsweise im Empfangsbereich, die Besucher nicht in eine untergeordnete Position zwingen, und um durchdachte, auffindbare Sanitärräume, die architektonisch gleichermaßen gut konzipiert sind. Die Frage der Qualität des Designs bei allen diesen Bauteilen und Bausystemen darf sich nicht stellen. Die Qualität des Designs muss gleichermaßen gut und selbstverständlich kongruent sein. 

Fazit: Die barrierefreie Stadt ist möglich

Insgesamt geht es also darum, öffentliche Infrastrukturen, öffentliche Räume und öffentliche Gebäude so zu planen und zu bauen, dass sie für so viele Menschen wie möglich ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung nutzbar sind. Zusätzlich muss diese Gestaltung so flexibel und robust sein, dass sie sich auch mit Unterstützungstechnologien verträgt, die Menschen mit Behinderung einsetzen müssen. Diese Menschen dürfen nicht durch nachrangige oder architektonisch minderwertige Lösung diskriminiert werden.  

Das ist die Herausforderung für PlanerInnen, ArchitektInnen und die Industrie, die dafür angemessen gestaltete Produkte liefern muss. Dafür brauchen wir keine neue Verordnung oder gar ein Gesetz. Es reicht das Grundgesetz, Artikel 2 und Artikel 3. Hier sind das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Gleichberechtigung aller Menschen festgeschrieben. Ausdrücklich weist das Gesetz zudem auf die Verpflichtung des Staates hin, bestehende Nachteile auszugleichen. Daran müssen wir uns halten. Dies ist unsere moralische und reale Verantwortung. 

Der Autor 

BORIS SCHADE-BÜNSOW

seit 2011 Chefredakteur der Architekturzeitschrift Bauwelt, Berlin. Zuvor war er zehn Jahre lang als Verlagsleiter der Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, für das inhaltliche Programm des Verlags verantwortlich und davor von 1993 bis 2001 Redakteur und Chefredakteur der TAB Technik am Bau und anderer Baufachzeitschriften des Bauverlags. 

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